KI in der Arbeitswelt von Grafiker:innen und Fotograf:innen
speculative design in Anwendung am Beispiel: KI als arbeitsverändernden Technologie
Mit dem Kartenspiel „The Thing from the Future” werden die Spieler:innen dazu aufgefordert, sich Dinge auszudenken, die in der Zukunft existieren könnten (Candy, 2018, S. 233f). Das Spiel umfasst vier Kartentypen: Objekt, Stimmung, Terrain und Handlungsbogen. Die Aufgabe besteht darin, sich Dinge auszudenken, die die variablen Begriffe aller vier Kategorien enthalten. In der Kategorie Objekt liegt der Fokus auf einem bestimmten kulturellen Artefakt. Die Kategorie Stimmung lässt erahnen, wie es sich anfühlen könnte, das Ding aus der Zukunft zu erleben. Die Kategorie Terrain ist der thematische Kontext oder der Ort, an dem das Ding in der Zukunft zu finden sein könnte. Die Kategorie Handlungsbogen beschreibt die Art der zukünftigen Welt, aus der das Ding kommt, und wie weit sie von der heutigen Zeit entfernt ist: in einigen Jahren, in 10 Jahren, in einer Generation/25 Jahren, in zwei Generationen/50 Jahren, in einem Jahrhundert und in einem Jahrtausend. Hinzu kommen vier Weltzustände: Zusammenbruch, Regulierung, Wachstum und Veränderung, in denen das Ding existieren soll. In unserem Fall
werden die Spieler:innen aufgefordert, Dinge zu erdenken, die das Arbeitsfeld
mit KI betreffen.
Abbildung 1: Die vier Kategorien des Spiels „The Thing from the Future”
(Quelle: SituationLab, eigene Darstellung)
Für unsere Zwecke haben wir die ursprünglich englischen Begriffe ins deutsche übersetzt und an die Arbeitswelt unserer Zielgruppe thematisch angepasst. Einzelne Begriffe wie beispielsweise „Family”, „Insects” oder „Disease” wurden entfernt, da sie der Meinung der Forscherinnen nach nicht Teil der Arbeitswelt unserer Zielgruppe waren.
Der Ablauf des Spieles ist folgender: In Kleingruppen von drei bis vier Personen wird von jedem Kartentyp eine Karte aufgedeckt und alle Teilnehmer:innen sind aufgefordert, sich alleine ein Ding mit KI-Bezug in ihrer Arbeitswelt auszudenken. Jede der vier Kategorien: Objekt, Stimmung, Terrain und Handlungsbogen soll eingebunden sein. Alle erfundenen Dinge werden in der Gruppe vorgestellt. Nach fünf bis sechs Runden werden die interessantesten zwei bis drei Dinge von den Teilnehmenden ausgewählt und in ein Zukunftsrad eingeordnet, um die mögliche Auswirkung des Dings auf die Bereiche Wirtschaft, Kultur, Psychologie, Gemeinwohl, Technologie, Bildung, Politik und Umwelt
zu diskutieren.
Die Methode des Zukunftsrades ermöglicht es, „eine organischere, komplexere Sichtweise eines Phänomens einzunehmen, […] regt zu komplexem, systematischem Denken an und liefert eine relativ klare, visuelle Karte der potenziellen Komplexität von Interaktionen” (Benckendorff, 2008, S. 32). Folgende Fragen wurden dabei diskutiert: (1) Wie wird das Ding genutzt? (2) Welchen Einfluss hat es auf unterschiedliche Lebensbereiche bzw. wie beeinflussen unterschiedliche Lebensbereiche die Nutzung des Dings? und (3) Gibt es verschiedene Auswirkungen des Dings für unterschiedliche Gruppen von Menschen? (Jarke & Manchester, 2024, S. 11). „The Thing from the Future” provoziert Gedankenexperimente und gibt Einblick in die Hoffnungen und Ängste der Designer:innen und Fotograf:innen Durch die zukünftigen Gedankenwelten sind jedwede Erfindungen erlaubt und dürfen unzensuriert in der Gruppe antizipiert werden.
KI und der Wunsch nach Kontrolle
Hoffnungen kreativschaffender Grazer:innen auf eine optimierte Arbeitswelt
Diese Studie untersucht Digitalisierung als soziales Problem am Beispiel von Künstlicher Intelligenz (KI) als arbeitsverändernde Technologie. Dazu wird die Problemlage von Kreativschaffenden auf Erfahrungsebene analysiert, da sie mit starken Veränderungen konfrontiert sind. Generative KI wird dabei als optimierende und effizienzsteigernde Technologie gesehen. Es ist zwar noch nicht möglich, die Qualität von Gestalter:innen im Sinne der Einzigartigkeit zu übertrumpfen, Entwicklungen dahingehend liegen jedoch schon vor. KI wird als Hoffnung zur Optimierung der Arbeit wahrgenommen und streut Angst vor dem Ersetztwerden. Wie Betroffene diesen Umstand erleben, untersuchen wir anhand der Forschungsfrage „Welche Hoffnungen und Ängste antizipieren Grafiker:innen und Fotograf:innen im Raum Graz in ihrer Arbeitswelt in Bezug auf KI als arbeitsverändernde Technologie?”. Dafür werden Antizipationen mit Hilfe der qualitativen Methode des Spekulativen Designs erhoben. Ergebnis dieser Studie ist, dass die Überantwortung von Arbeit an die KI positiv wahrgenommen wird, solange die Kontrolle darüber bei den Kreativschaffenden liegt. Die antizipierten Veränderungen in der Arbeitswelt haben nicht nur einen Einfluss auf den Schaffensprozess, sondern reichen bis ins Privatleben. Gemeinsam mit dem vorherrschenden positiven Narrativ über KI führt dies zu einer lösungsbezogenen Antizipation.
Einleitung
Künstliche Intelligenz (im folgenden KI genannt) und Entwicklungen rund um diese Technologien haben in den letzten Jahren zu massiven Veränderungen in der Arbeitswelt geführt und werfen Fragen und Möglichkeiten auf, die so zuvor noch nicht im Raum standen. Insbesondere kreative Bereiche wie Grafikdesign und Fotografie sind stark betroffen und KI breitet sich rasant aus (Ashby et al., 2023; Anantrasirichai & Bull, 2022). Kreativschaffende erleben diesen Shift in ihrer Arbeitswelt besonders stark und müssen sich langfristig darauf einstellen (Cai & Jung, 2024).
Der Begriff Kreativwirtschaft bezieht sich auf den Wirtschaftszweig, der sich mit der Schaffung, der Produktion, der Verteilung und/oder der medialen Verbreitung von kulturellen/kreativen Gütern und Dienstleistungen befasst. Teil dessen sind die Bereiche Werbung, Software/Games, Architektur, Darstellende Kunst, Film und Fotografie, Buch und Verlag, Design, Musikwirtschaft, sowie Radio und TV (Enichmair et al., 2023, S. 18). Besonders stark verändert sich laut Cai und Jung (2024) das Feld des Grafikdesigns. Die Herausforderungen der generativen Bildbearbeitung betreffen auch die Fotografie (Tang, 2023).
Im Kontext kreativer Arbeiten handelt es sich bei generativer KI um Maschinen, die Inhalte, Daten oder Ergebnisse ohne explizite menschliche Programmierung erstellen, indem sie Modelle verwenden, die auf erlernten Mustern aus vorhandenen Daten beruhen (Chandrasekera et al., 2024, S. 2). Durch die Einführung der Generativen KI wurden die Kreativschaffenden weltweit verunsichert und die Angst, durch Computerprogramme ersetzt zu werden, verbreitete sich (Park et al., 2024, S. 1–2). Zentral für die Arbeitswelt der Kreativwirtschaft ist die Rolle der Kreativität. Im Zuge dieser Diskussion dient folgende Definition als Grundlage dafür: Es ist (1) die Fähigkeit, Symbole zu erzeugen und sie von einem Kontext in einen anderen zu übertragen, (2) der sozialen Intelligenz, da Innovationen oft in soziale Verbindungen und Beziehungen eingebettet sind, und (3) die Fähigkeit, über die einfache Extrapolation aktueller Trends in Vorhersagen hinauszugehen (Oleinik 2019, S. 6). Zusätzlich meinen Anantrasirichai und Bull, dass ein großer Erfahrungsschatz nötig ist, um Neues zu erschaffen – ein Umstand, der von KI-Programmen noch nicht erreicht werden kann (2022, S. 590). Es sind somit Aufgaben in der Arbeitswelt von Grafiker:innen und Fotograf:innen, die zukünftig teils oder vollständig von KI-Programmen übernommen werden könnten. Grafiker:innen und Fotograf:innen erleben damit bereits jetzt eine Restrukturierung ihrer Arbeitswelt aufgrund der Verschiebung von Aufgaben und Zuständigkeiten (Cai und Jung; 2024). Damit schafft die neue KI-Technologie Umstände, mit denen sich die Betroffenen zwangsläufig auseinandersetzen müssen. Als Problemlage nach Groenemeyer (2014, S. 368) analysieren wir die Situation von Grafikdesigner:innen und Fotograf:innen auf der Erfahrungsebene, da sie in ihrer Arbeitswelt mit KI und den damit verbundenen Veränderungen konfrontiert sind und sich zu einer Reaktion auf und Auseinandersetzung mit KI gezwungen sehen.
Die Wahrnehmung dieser Veränderung in der Gegenwart lässt sich anhand des Konzepts der Antizipation sichtbar machen. Mit Antizipationen, die eine zukunftsgerichtete Haltung bei gleichzeitigem Wissen aus der Vergangenheit beschreiben (Poli, 2019, S. 4), wird das Denken, Fühlen und Handeln im Jetzt beeinflusst. Dabei werden Hoffnungen und Ängste zu wichtigen Vektoren (Adams et al., 2009, S. 248). Cave und Dihal (2019, S. 74) legen mit ihrer Konzeption der Hopes and Fears (Hoffnungen und Ängste, 2019) den Fokus auf die Dichotomie der Erleichterung/Obsoleszenz, Unsterblichkeit/Unmenschlichkeit, Befriedigung/Entfremdung sowie Dominanz/Aufstand. Prägend für die antizipierten Hoffnungen und Ängste ist die Wahrnehmung der Kontrolle, so Cave und Dihal (2019, S. 75). Sie argumentieren, dass Beteiligte, abhängig von der Wahrnehmung der eigenen Kontrolle über die Technologie der KI, ihre Zukunft als utopisch oder dystopisch erleben. Die Kontrolle definiert demnach, ob die Veränderungen der Arbeitswelt als Hoffnung oder Angst wahrgenommen werden und in weiterer Folge womöglich als Problemlösung, problementlastetete Innovation nach Büchner und Dosdall (Im Erscheinen), oder Problem verstanden werden können. Dem zu Folge analysieren wir die Problemlage nach Goenemeyer (2014) auf der Erfahrungsebene. Es wird erforscht, wie die Erwartungshaltung an die berufliche Zukunft in Bezug auf KI das gegenwärtige Erleben der Grafikdesigner:innen und Fotograf:innen beeinflusst. Eine Veränderung, die das Erleben ihrer gesamten Arbeitswelt betrifft.
Daraus ergibt sich folgende Forschungsfrage:
Welche Hoffnungen und Ängste antizipieren Grafiker:innen und Fotograf:innen im Raum Graz in ihrer Arbeitswelt in Bezug auf Künstliche Intelligenz (KI) als arbeitsverändernde Technologie?
Zur Beantwortung der Forschungsfrage werden Antizipationen mit Hilfe der qualitativen Methode des Spekulativen Designs erhoben, in dem wir mit dem Kartenspiel „The Thing from the Future“ Zukunftsvorstellungen provozieren. Bei diesem Kartenspiel imaginieren die Teilnehmer:innen ihre zukünftige Arbeitswelt mit KI, wodurch ihre Antizipationen sichtbar und somit ihre Hoffnungen und Ängste formuliert werden.
…
von: Pia Grumeth-Zechner, Julia Schmalzl & Alexandra Seyi
Erschienen ist die wissenschaftliche Arbeit im Buch:
Digitalisierung und soziale Probleme:
Die Digitalisierung als soziales Problem?!
Berichte aus den Forschungspraktika des Instituts für Soziologie
an der Universität Graz, Band 54
Herausgeberinnen: Juliane Jarke & Gwendolin Barnard
https://unipub.uni-graz.at/obvugrveroeff/content/titleinfo/11900583